Von Frederic Schneider und Vanessa Verena Wahlig, Mitarbeit: Helen Dawson


Die Automobilindustrie ist im Umbruch. Nach Abgas- und Diesel-Skandal erwarten Politik und Gesellschaft ein Umdenken: Die Autos sollen leiser, umweltfreundlicher, digitaler und vernetzter werden. Umso mehr waren die Autohersteller gefordert, auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) im September in Frankfurt am Main der Öffentlichkeit zu präsentieren, wie sie verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen möchten.

Der Druck war fast an jedem Ausstellungsstand zu spüren – nur die Luxusmarken in Halle 5 setzen weiterhin auf Abgasschleuder, sind im Preissegment über 100.000 Euro aber auch für die wenigsten Kunden erschwinglich. Ansonsten sprüht die Automobilindustrie nur so voller Ideen. Das autonome Fahren, bereits auf der IAA 2015 ein großes Thema (wir berichteten), wurde auf der IAA 2017 weitergedacht und mittels „Virtual Reality“ erlebbar gemacht. In Zukunft sollen die Autos selbstständig bremsen, ausweichen und einparken. Der Gewinner soll nicht bloß die Bequemlichkeit, sondern auch die Sicherheit sein – für Fahrzeuginsassen und Fußgänger zugleich. Vor allem Mercedes Benz widmete diesem Thema auf seinem prunkvollen Stand in der Festhalle einen ganzen Schwerpunkt. Hier konnten die Besucher sich virtuell ins Auto setzen und von den neuen Funktionen direkt selbst überzeugen. Mercedes setzt dabei, mittlerweile schon fast klassisch, auf Virtual-Reality- Brillen. Das ist eine tolle Möglichkeit, aber eine Probefahrt wird dieser neue Kundenkontakt wahrscheinlich dennoch nicht ersetzen.

Die Autobranche öffnet sich der Start-up-Szene

Mercedes Benz ist es auch, das Startups Chancen gibt, mit innovativen Ideen Marktreife zu erlangen. Das Projekt „What-3Words“, erfunden in London, ermöglicht, mittels drei Wörtern ein 3×3 Meter großes Quadrat zu adressieren. Wollen wir zu einem bestimmten Ort gelangen, gibt es – wenn wir ihn nicht aus dem Gedächtnis kennen – gemeinhin zwei Möglichkeiten, um zu navigieren: 1. Wir kennen den Straßennamen, die Hausnummer, die Postleitzahl und den Namen der Stadt. 2. Wir kennen die Koordinaten, beispielsweise indem wir uns den Ort vorher bei Google Maps angesehen und die Koordinaten extrahiert haben. Im Regelfall funktionieren beide Möglichkeiten wunderbar. Trotz alledem hat „What3Words“ seinen Charme: Etwa bei Orten, die keine Postadresse besitzen – wie verborgene Traumstrände. Oder, wenn es in einer Stadt mehrere Straßen mit einem sehr ähnlichen Namen gibt – Drei-Wort-Adressen sind intuitiver als Koordinaten, aber genauso effektiv und präzise. Zu guter Letzt: Selbst, wenn ich eine Postadresse kenne, bin ich nicht zwangsläufig an dem Ort, wo ich sein möchte. Gerade bei großen Unternehmen, auf Messegeländen oder Flughäfen möchte ich zu einem bestimmten Punkt gelangen. Dabei hilft mir die Postadresse nicht weiter. Mittels „What3Words“ kann ich bis auf ein 3×3 Meter großes Quadrat genau navigieren.

Stille auf dem E-Mobility-Markt

Auffällig still ist es hingegen um die E-Mobilität geworden: Volkswagen verkündete zwar stolz pünktlich zur IAA, bis zum Jahr 2025 insgesamt 23 rein elektrisch betriebene Modelle im Portfolio zu haben. Doch zu sehen war davon in Frankfurt – recht wenig. Der neue E-Up, sozusagen der Vorzeige-VW mit Elektroantrieb, wurde lediglich etwas optisch aufgehübscht, unterscheidet sich zum Modell von der IAA 2015 ansonsten kaum. Ähnlich das Bild bei BMW: Der i3 und der i8 wurden zwar weiterentwickelt, aber der hohe Preis und die eingeschränkte Reichweite der Elektrofahrzeuge sind weiterhin ein großes Problem. Die zum Mercedes-Konzern gehörende Marke Smart geht deshalb einen ganz anderen Weg: Sie präsentierte eine Studie, die die Vision von Smart für das Fahrzeug von morgen darstellen soll: Kleine, trotzdem räumige Fahrzeuge, die von selbst fahren und mittels eines großen Bordcomputers gesteuert werden können. Der Smart von morgen ist über den Bordcomputer individuell gestaltbar, inklusive seiner Farblichter außen und im Fahrzeuginneren. Das Gepäck wird nicht in einem Kofferraum verstaut, sondern vorne im Fußraum. Damit es nicht wild umherfliegt, steht ein Gurt zur Befestigung zur Verfügung. Serienreif soll der Smart von morgen etwa um das Jahr 2030 herum werden.

Generell zeigte sich auf der IAA: Die Alltagstauglichkeit der Elektrofahrzeuge von morgen ist noch nicht durchdacht. Es fehlt an Kofferräumen und an Unterstützungen für Familien. Auch über Reichweiten haben sich die Autohersteller nur wenig Gedanken gemacht. Gerade dieser Aspekt ist für ländliche Räume besonders wichtig, da es bis jetzt noch kein flächendeckendes Konzept für Elektro-Tankstellen gibt. In der ersten Reihe stehen deshalb in Sachen E-Autos immer noch die Hybride, die neben der Ionen-Batterie auch einen Verbrennungsmotor mit an Bord haben.

Der Trend geht zum individuellen Design

Und das Thema Diesel: Was in den Medien hoch und runter diskutiert wurde, war auf der IAA kein Thema. Dieselfahrzeuge wurden genauso vorgestellt wie Benziner. In die erste Reihe wurden sie aber dennoch nicht gestellt. Schicker war es daher für die Unternehmen zu zeigen, was sie selbst so können. Großes Thema beim hessischen Autohersteller Opel deshalb: individuelle Designs. Da man als Automobilhersteller mit individuellem Interieur von Autos nicht mehr viel Neues erfinden kann, haben sich die Rüsselsheimer an den Außenlack gemacht. Wer das Blau des Meeres der letzten Urlaubsreise oder die Farbe des Sandes gerne als Außenfarbe für sein Auto haben möchte, dem mischt Opel die Farbe an. Alles, was dafür gebraucht wird, ist eine Vorlage in Form eines Bildes, nach dessen Muster der Außenlack dann extra für den Kunden hergestellt wird. Das Angebot gibt es bis jetzt nur für den Opel Insignia. Ansonsten überraschen die Rüsselsheimer auch mit ihrem Stand auf der IAA. Jung, modern, social heißt das Motto: Der Opel-„X-Ville“-Stand war deshalb wie eine kleinen Stadt gestaltet. Kletterwand, hippes Café und Fotobox sollte die Fachbesucher vom neuen Markenversprechen „Die Zukunft gehört allen.“ überzeugen.

Was für Marty McFly in „Zurück in die Zukunft” im Jahr 2015 angefangen hat, fängt für die Automobilindustrie erst 2030 an. Zugegebenermaßen sind da noch keine selbst fliegenden Autos geplant, aber dennoch Autos, die auf die Bedürfnisse eines jeden Fahrers eingehen sollen. Die Laborküchen der deutschen Automobilhersteller sind deshalb fleißig am Entwickeln und holen dazu auch Start-ups mit ins Geschäft. Damit ist bei den Herstellern natürlich auch die Hoffnung verbunden, auf dem internationalen Markt mit den asiatischen Ländern konkurrieren zu können und nicht zuletzt durch innovative Ideen, den angeknacksten Ruf wieder in ein besseres Licht rücken zu können. Denn auch bei aller Kritik an der Automobilindustrie, ist sie eine Kernindustrie für die deutsche Wirtschaft.

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