Nachrichtendienste stehen nicht so gerne in der Öffentlichkeit. Dr. Hans-Georg Maaßen, der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, ist eine positive Ausnahme. An seinem Dienstsitz in Köln nahm er sich die Zeit, um gemeinsam mit dem JU-Landesvorsitzenden Dr. Stefan Heck für ein LÖWENMAUL-Interview zur Verfügung zu stehen.

Lieber Herr Dr. Maaßen. Unsere Leser sind überwiegend unter 35 Jahre alt und haben noch ein langes Leben vor sich. Können Sie ihnen Hoffnungen machen, dass sie hier in Frieden eine Familie gründen können, oder werden wir dauerhaft mit gewaltbereiten Islamisten und anderen Gegnern leben müssen?

Dr. Maaßen: Zwischen den Zeilen Ihrer Frage lese ich einen gewissen Pessimismus und eine gewisse Depression. Die würde ich gerne Ihren Lesern nehmen. Die Situation, in der wir zurzeit sicherheitspolitisch leben, ist gewiss nicht einfach: Das gilt zum einen für den Terrorismus, mit dem sich mein Amt als Abwehrbehörde beschäftigen muss, zum anderen aber auch für die aktuelle politische Situation, wenn wir an das unfriedliche Umfeld um Europa herum denken, wie den Mittleren Osten, Nordafrika. Beides ist schwierig und wird uns noch viele Jahre beschäftigen – unabhängig davon, wie sich der IS weiter entwickelt. Nur: Ich glaube, wir sind in Deutschland so gut aufgestellt und für zukünftige Szenarien gewappnet, dass wir keine Angst und Sorge vor der Zukunft haben müssen.

Im Zuge der Flüchtlingskrise wurde befürchtet, dass über die einschlägigen Routen auch IS-Terroristen nach Deutschland gelangen können. Geht von dieser Gruppe noch eine Gefahr für uns aus?

Dr. Maaßen: Es ist in der Tat so, dass der „Islamische Staat“ die Flüchtlingsströme mit IS-Kämpfern infiltrierte, die einen Terrorauftrag haben. Wir haben in Europa bislang rund 20 Personen identifizieren können. Gleichwohl ist das eine sehr kleine Zahl von Personen, die, wenn sie Terroranschläge begehen, natürlich eine große Gefahr für die Sicherheit wären. Allerdings haben wir das im Blick.

Lieber Stefan, wir hatten erst um den Reformationstag herum einen vereitelten Anschlag in Deutschland eines Syrers, der als Flüchtling nach Deutschland kam, und in New York einen Anschlag mit einem Fahrzeug. Ist die Politik Deiner Meinung nach machtlos, oder siehst Du Fortschritte in der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus?

Dr. Heck: Es ist leider zutreffend, dass es vor Terroristen, die Selbstmordattentate verüben wollen, keine absolute Sicherheit geben kann. Wir können allerdings sehr dankbar sein, dass es unseren Behörden gelungen ist, in den vergangenen Jahren viele Anschläge zu verhindern. Wir dürfen nicht vergessen: Was öffentlich bekannt wurde, zeigt auch nur einen kleinen Teil der Arbeit unserer Behörden. Vor allem im Vergleich mit anderen Ländern können wir sehr zufrieden sein.

Wir haben beim G20-Gipfel in Hamburg eine starke und vor allem organisierte linksextreme Szene gesehen. Waren Sie von den Auswirkungen und den professionellen Vorbereitungen überrascht, Herr Dr. Maaßen?

Dr. Maaßen: Wir hatten erwartet, dass es zu Ausschreitungen kommen kann und die Polizeibehörden frühzeitig gewarnt, sodass sie sich entsprechend aufstellen konnten. Über das Ausmaß und die Bereitschaft zur unbedingten Gewalt – da waren wir überrascht, und mit wir meine ich die Nachrichtendienste, die Polizei, die Politik und die Medien.

Stefan, welche Konsequenzen muss die Politik aus dem G20-Gipfel ziehen?

Dr. Heck: Zunächst ist die Aufarbeitung intensiv bereits vor Ort in Hamburg geschehen. Lehren, die wir ziehen müssen, fangen mit den gesellschaftlichen Fragen an. Wir sind Gott sei Dank inzwischen so weit, dass es null Toleranz gegen Rechtsextremismus und Islamismus gibt - das gleiche wünsche ich mir auch gegen den Linksextremismus! Bei manchen Vereinen kann man leider nicht sicher sein, ob sie vollständig auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Wir hatten lange eine so genannte Verfassungsklausel in den Förderprogrammen des Bundes, sodass sich geförderte Vereine ohne Wenn und Aber zu unserem Grundgesetz bekennen mussten – leider ist das seinerzeit unter SPD-Ministerin Schwesig abgeschafft worden. So etwas benötigen wir wieder. Und wo es Kriminalität gibt, muss der Staat klare Schranken aufzeigen.

Auch wir in Hessen haben es mit einer ausgeprägten linksextremen Szene zu tun. Hausbesetzungen sind beispielsweise in Frankfurt gang und gäbe. Die Kommunen unterstützen die Szene zum Teil sogar mit kostenlosen Gebäuden. Bedarf es da nicht eines Umdenkens?

Dr. Heck: Natürlich ist das ein Problem! Es wäre jedenfalls sehr gefährlich, wenn der Eindruck entstünde, mit staatlichen Mitteln würden linksextreme Strukturen gefördert. Da müssen wir besser hinschauen und konsequenter handeln. Ich habe übrigens kein Verständnis dafür, wenn Vertreter von Polizeigewerkschaften – wie kürzlich in Frankfurt geschehen – nicht mehr an öffentlichen Universitäten auftreten können.

In der Öffentlichkeit wird der Politik und auch Ihnen, lieber Herr Dr. Maaßen, gerne vorgeworfen, Sie würden sich immer nur um die linke Szene kümmern. Nerven Sie solche Vorwürfe eigentlich?

Dr. Maaßen: Ja, die nerven mich – weil sie völlig unzutreffend sind! Sie nerven mich, weil der Verfassungsschutz den Auftrag hat, in alle Richtungen zu schauen, ob rechts oder links, ob Islamismus oder Ausländerextremismus, ob PKK, Russland oder China. Wir müssen alles beobachten, was die freiheitlich-demokratische Grundordnung Deutschlands gefährden kann. Ich sehe immer wieder, dass uns von politisch-interessierter Seite vorgeworfen wird, wir seien auf dem rechten Auge blind, würden dahin oder dorthin nicht schauen. Ich möchte deutlich machen: Wir haben keine Scheuklappen auf, wir schauen in alle Richtungen.

Setzen Sie feste Prioritäten, oder ist das anlassbezogen, um welche Szene Sie sich gerade näher kümmern?

Dr. Maaßen: Ich möchte Ihre Frage einmal so beantworten: Über die Jahrzehnte hat die Gesellschaft gelernt, gegen Rechtsextremismus Abwehrreflexe zu entwickeln, zwischen rechts und rechtsextrem. Beim Linksextremismus sind wir leider noch nicht so weit und das haben wir auch in Hamburg gesehen, wo manche Politiker und Journalisten ein gewisses Verständnis für die politischen Ziele einiger Gewalttäter geäußert haben. Ich wäre dankbar, wenn wir hier zu ähnlichen gesellschaftlichen Abwehrreflexen zwischen der linken bürgerlichen Community und der linksextremen Szene kämen wie beim Rechtsextremismus. Was Prioritäten in meinem Hause anbelangt, so ist das von der aktuellen Situation abhängig. Sie können sich vorstellen, dass angesichts der aktuellen Situation viele Ressourcen wie Personal und Sachmittel im Bereich des Islamistischen Terrorismus eingesetzt werden. Gleichzeitig sind wir in einer Situation, wo eigentlich alle unsere Geschäftsfelder „boomen“: Linksextremismus boomt wie auch Rechtsextremismus, denken Sie an rechtsextremistische Terrorzellen wie OSS (Oldschool Society), die wir identifiziert haben. Oder die Bundestagswahl mit Desinformationskampagnen und Cyber-Angriffen. Das sind alles Themen, die wir auf dem Radarschirm haben müssen. Ich sage immer: Wir müssen von einen auf dem anderen Tag die Prioritäten ändern können.

Sie haben die Bundestagswahl angesprochen. Wurde dort im Vorlauf zu viel öffentliche Panik gemacht, oder haben die vielen Warnungen gerade dazu geführt, dass am Ende nichts passiert ist?

Dr. Maaßen: Wir haben darauf hingewiesen, dass im Rahmen des so genannten Bundestagshacks 2015 wahrscheinlich Daten nach Russland abgeflossen sind. Wir haben weitere Cyberangriffe gegen politische Parteien, Politiker und Stiftungen festgestellt. Wir haben allerdings auch immer darauf hingewiesen: Ob aus diesen Daten eine Desinformationskampagne gemacht wird, ist eine politische Entscheidung, die in Russland getroffen werden muss. Am Ende ist das eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Und ich bin der Auffassung: Im Kreml war man der Überzeugung, dass die politischen Kosten höher als der Nutzen gewesen wären.

Stefan, zurück zum Thema Links- und Rechtsextremismus: Der JU-Bundesverband hat vor einigen Jahren die Kampagne „Jeder Extremist ist Mist“ ins Leben gerufen. Müssen wir angesichts der Tatsache, dass beide Extreme wieder verstärkt ins Blickfeld der Öffentlichkeit gelangt sind, nicht auch als Junge Union Hessen auf dem Feld aktiver werden?

Dr. Heck: Zunächst finde ich den Slogan sehr treffend – „jeder Extremist ist Mist“ trifft mit wenigen Worten das, was auch Aufgabe für uns als politische Jugendorganisation ist. Was das Strafrecht anbelangt, gibt es klare Instrumente für unsere Sicherheitsbehörden. Was aber die gesellschaftliche Debatte anbelangt, müssen wir dafür sorgen, dass sie auf dem Boden des Grundgesetzes geführt wird. Herr Dr. Maaßen sagte es bereits: Wir haben zum Glück einen breiten Konsens in der Ablehnung und Bekämpfung des Rechtsextremismus. Beim Linksextremismus ist das noch nicht der Fall. Das beginnt schon bei sprachlichen Feinheiten. Da werden wir als Jugendorganisation, die in jedem Bundesland vertreten ist – im Norden, im Süden, im Westen und im Osten – in den nächsten Jahren viele Aufgaben haben.

Herr Dr. Maaßen, abschließend. Es ist nicht viel über die Menschen bekannt, die für Ihre Behörde arbeiten. Was macht den Arbeitgeber Bundesverfassungsschutz eigentlich so attraktiv?

Dr. Maaßen: Das Attraktive, bei uns zu arbeiten, ist das Arbeiten für das Gemeinwohl. Mit allen Akademikern, die bei uns im Hause anfangen, führe ich nach den ersten Wochen ein Gespräch und ich frage nach ihrer Motivation. Und sie sagen mir oftmals, als Informatiker würden sie in der Wirtschaft zwar mehr verdienen, oder als Jurist in einer Anwaltskanzlei, aber es macht ihnen viel Spaß, für Deutschland zu arbeiten, für die Innere Sicherheit in diesem Land. Sie können so etwas dazu beitragen, dass ihre Kinder und Familie in Sicherheit und Frieden leben können. Ich glaube: Das ist ein guter Grund, für uns zu arbeiten.

Die Fragen stellte Frederic Schneider

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